In Österreich gab es zwischen 2007 und 2013 mehr als 100 Aktionen gegen Abschiebungen, von denen etwa die Hälfte erfolgreich waren. Die Proteste waren über die Bundesländer hinweg unterschiedlich verteilt, in Oberösterreich gab es auffallend mehr Aktivitäten als beispielsweise im Burgendland, Vorarlberg oder Niederösterreich.
Rosenberger hat herausgefunden, dass sich das „Engagement der Bevölkerung hauptsächlich aus der persönlichen und räumlichen Nähe zu den Flüchtlingen speist“. Solidarität mit von Abschiebung bedrohten Personen ergab sich vor Allem dann, wenn Menschen schon länger Kontakt mit den Betroffenen haben, beispielsweise in der Schule, in Sportvereinen oder in der Nachbarschaft und bei Flüchtlingen, die in enger Verbindung zu den lokalen Gemeinden stehen.
Diese lokale Form der Proteste gegen Einzelabschiebungen, die sich zumeist auf konkrete Personen bezogen, waren in vielen Fällen erfolgreich, vor allem wenn Rückhalt durch den/die BürgermeisterIn gegeben war.
Des Weiteren kam Rosenberger zu dem Ergebnis, dass Unterstützungserklärungen beispielsweise per Like auf Sozialen Medien nicht die direkte, persönliche Form des Protests ersetzen können. Unmittelbarer Protest auf der Straße, beispielsweise vor einer Flüchtlingsunterkunft beschreibt sie als ein deutlich wirksameres Partizipationsinstrument.
Ein Beispiel für erfolgreichen österreichischen Widerstand gegen Einzelabschiebungen sind die Bemühungen für das Bleiberecht der Familie P. in Gallneukirchen. Das kosovarische Ehepaar mit seinen drei Söhnen ist im Jahr 2001 nach Österreich gekommen um einen Asylantrag zu stellen. Nach einem langjährigen Asylverfahren drohte ihnen im Sommer 2008 dann die Abschiebung. Die gesamte Familie hat schnell Deutsch gelernt, der Vater hat bereits seit 2002 gearbeitet, die Buben gingen zur Schule und spielten im Fußballverein mit. Der Bürgermeister Walter Böck hat sich mit Briefen an den damaligen Landeshauptmann und Innenminister gewandt, in denen er ausdrückte, dass die Abschiebung der Familie P. nicht nachvollziehbar sei und gegen den gesunden Menschenverstand spreche, weil die Familie schon so lange hier lebe und sich beispielhaft integriert habe. Auch NachbarInnen und andere Bekannte der Familie engagierten sich über Partei- und Konfessionsgrenzen hinweg für die P.s. Das Ergebnis war die Plattform Bleiberecht jetzt!, die von kleinen Bürgerinitiativen bis hin zu großen Organisationen einschloss und sich von Oberösterreich aus weiter ausbreitete. Im August 2008 wurde vor dem Rathaus Gallneukirchen ein Baum aufgestellt, an dem die Bevölkerung Zettel mit Wünschen für die Familie P. und mit Forderungen an die Politik befestigte.
Die Gemeinde Alberschwende in Vorarlberg mit rund 3000 EinwohnerInnen hat im Herbst 2014 ihre erste Asylunterkunft geschaffen. Im Jänner 2015 wurden acht syrische Männer darin untergebracht, die aufgrund ihrer Offenheit und Herzlichkeit und der Aufgeschlossenheit der lokalen Bevölkerung schon bald in regem Kontakt mit GemeindebewohnerInnen standen. Als fünf dieser Flüchtlinge aufgrund ihrer Zuordnung als Dublin-Fälle wieder abgeschoben werden sollten, standen ihnen zahlreiche EinwohnerInnen schützend zur Seite. Sowohl die Bürgermeisterin Angelika Schwarzmann als auch der Pfarrer Peter Mathei und BürgerInnen haben sich gegen die Abschiebung der Syrer gewehrt. Es wurde die private Initiative „Wir sind Asyl“ gegründet, die eine Überstellung der betroffenen Asylwerber verhindern sollte. Es wurde erneut Beschwerde gegen die Dublin-Abschiebungen eingereicht und die Bürgermeisterin hat gemeinsam mit UnterstützerInnen ein Rundschreiben und ein Manifest verfasst und an verschiedene Asylinitiativen und politische Persönlichkeiten verschickt. In diesen Schreiben wurden die Unzulänglichkeiten des europäischen Asylsystems kritisiert, die Problematiken einer Dublin-Abschiebung in bestimmte Länder aufgezeigt und die Aktivitäten der Gemeinde beschrieben. Die Gemeinde Alberschwende hat erklärt, dass sie staatliche Deportationen verhindert, weil diese zu Menschenrechtsverletzungen führen können. Eine Abschiebung in Länder wie Ungarn, Italien, Rumänien oder Bulgarien birgt das Risiko einer unberechtigten Inhaftierung, menschenunwürdiger Behandlung und der Kettenabschiebung, was gegen die Menschenrechte und die Europäische Grundrechtecharta verstößt. Folglich sah sich die Gemeinde berufen, ihre Asylwerber auch gegen die eigenen Bundesbehörden zu schützen. Sie beschrieb es als staatsbürgerliche Pflicht, ein solches Unrecht zu verhindern und argumentierte, dass sie kein Gesetz breche, sondern im Gegenteil mithilfe ihres „zivilen Gehorsams“ die EU-Grundrechtecharta befolge. Die Gemeinde Alberschwende hat die Einhaltung von Verpflichtungen gegenüber den Menschenrechten und internationalen Verträgen eingefordert und erklärt: „Wenn der Status „Bundesasyl“ nicht mehr vor Unmenschlichkeit schützt, dann tun wir dies mittels „Gemeindeasyl“ – konsequent und nachhaltig.“ Ziviles Engagement hat außerdem eine Telefonkette ermöglicht, die vor der Ankunft der Behörden warnen sollte und ein Alarmknopf sowie ein Nachtdienst wurden in der Asylunterkunft eingerichtet. Die Bemühungen der Gemeinde waren erfolgreich. Keiner der fünf Männer wurde abgeschoben und alle haben ein Asylverfahren in Österreich bekommen. Schlussendlich haben alle acht ursprünglichen Flüchtlinge aus Syrien einen positiven Asylbescheid erhalten. Alle wohnen auch heute noch in Österreich und haben Arbeit gefunden.
Arigona Zogaj, die Komani-Zwillinge, die Flüchtlinge von Alberschwende, das sind nur einige Beispiele für zivilgesellschaftliche Proteste gegen Abschiebungen abgelehnter AsylwerberInnen. Eine Landkarte zeigt dutzende Orte, an denen sich Einzelne oder Institutionen gegen die Abschiebung von AsylwerberInnen eingesetzt haben. Sie ist ein Ergebnis der Erhebungen der Forschungsgruppe INEX unter Leitung der Politologin Sieglinde Rosenberger. Wer hat in den letzten 20 Jahren gegen Abschiebungen protestiert und was können wir für die heutige Situation daraus lernen?
Das Gespräch mit Sieglinde Rosenberger führte Herbert Langthaler.